Sonntag, 4. Januar 2015

Halbzeit

Halbzeit.
Es ist kaum zu glauben. 
158 Tage ist es nun her, dass ich Deutschland verlassen habe.
158 Tage ist es her, dass ich meine besten Freunde gesehen habe.
158 Tage ist es her, dass ich ein neues Leben angefangen habe.
In 158 (naja, 159) Tagen, muss ich dieses Leben wieder verlassen.

Es war der 30. Juli 2014, ca. 6 Uhr morgens. 
Am Flughafen mit meinen Freunden :)
Alles war wie in Trance, ich habe mich angezogen, das into-TShirt und leggings gestern schon bereit gelegt, das letzte mal mein Lieblingsmüsli gegessen, noch 20 mal gecheckt ob ich auch wirklich meinen Reisepass in meiner Handtasche habe. Schnell noch meinen Hund das letzte mal geknuddelt, das letzte mal die Treppen bei der Haustür runtergestiegen, das letzte mal durch die Gartenpforte, ins Auto. Und schon fingen meine Augen an, sich einzustrullen. Ich denk mir nur “Junge, India, reiß dich zusammen!”. Das hielt dann bis wir am Flughafen angekommen sind. Nochmal kurz ein paar Tränen verdrückt, dann auf Freunde gewartet, die letzten Momente miteinander verbracht und dann hat meine beste Freundin angefangen zu heulen. Yup, das war’s dann mit Zusammenreißen. 
Aber ich musste Tschüss sagen und nach vorne gehen. Zu einer Lady an der Sicherheitskontrolle, die einen riesigen Stress wegen meines Hygienegels gemacht hat, da ich es nicht in einen Plastikbeutel gepackt habe. Entschuldigung, dass man sowas mal vergisst, wenn man mit 15 für 10 Monate weggeht, ich wollte eher sichergehen, dass ich meinen Reisepass habe.

Dann noch schnell zum Gate rennen, die Schlange bei der Sicherheitskontrolle musste ja unbedingt so lang sein, und ab zu Gesichtern die man von Facebook her einigermaßen kannte. Schnell noch ein Wasser kaufen, naja, was heißt schnell…ein mann vor mir musste ja unbedingt noch seinen Extrawurst-Kaffee bestellen, während ich dem lieblichen Geräusch der Ansagerstimme “Flug nach Frankfurt jetzt bereit zum boarden” lauschen konnte. Trotzdem noch geschafft und einen Sitz neben dem “bekannten Gesicht” ergattert, und es ging los. Weg von Hamburg, weg von meinen Freunden, meiner Familie, meinem Leben, ins große Unbekannte. Frankfurt. Nein Spaß, die USA natürlich. 
Schon saß ich im Flieger von Frankfurt nach New York, sehe auf dem Bildschirm wie wir uns langsam aber sicher den USA nähern, und auf meinem “Fernseher” gucke ich Divergent, auf Englisch, versteht sich. In den USA gelandet konnte man, gerade aus dem Flugzeug ausgestiegen, schon die Skyline von Manhattan sehen. Ich war tatsächlich da, doch es wirkte alles so unrealistisch. 


der Ausblick *__*
Einfach mal eben 5 Tage in New York City verbracht, als wäre es das normalste der Welt, sitze ich schon im nächsten Flugzeug, dieses Mal nach Florida, zu meiner Gastfamilie. Mit meinem Sitz im Flieger hatte ich mehr Glück als nach New York, wo ich in der Mitte der mittleren Reihe saß, denn das Flugzeug bestand aus Zweierreihen, und ich hatte den Platz am Fenster und den neben mir frei, mit tollem Ausblick auf die Küste. Erstmal Kopfhörer aufgesetzt und sich Orangensaft und Erdnüsse gegönnt, die erstaunlicherweise bombastisches Flugzeugessen sind (kennt ihr das wenn manche Sachen im Flieger einfach nicht schmecken?). Aus dem Fenster guckend sehe ich, wie es immer mehr Strand an der Küste gibt, und nach ungefähr 3 Stunden und gefühlten 10 Gängen zur nicht gerade geräumigen, Quadratmeter großen Kleinflugzeugtoilette, setzt der Flieger auf dem Boden auf. 

auf dem Weg nach Florida
Plötzlich war ich da, es war echt, es fühlte sich allerdings nicht so an. Ich treffe auf meine Gastschwester und Gastmutter, die mich mit meinem Lieblingsgetränk von Starbucks begrüßt haben, was mich heute noch zum lächeln bringt, und ich habe einen ersten Kontakt mit der brutalen Hitze des sommerlichen Floridas. Das einzige mal wo ich in einem solchen Klima wie diesem war, war als ich 5 war und wir auf den Malediven waren. Spanien ist da ein feuchter Furz gegen. Ich gucke aus dem Autofenster und sehe Schilder auf der interstate, Palmen und viele, unglaublich viele Pick-Up Trucks. Wir stoppen kurz bei Publix und ich gucke mir staunend die Shampooflaschen an, die einfach mal in der Normalgröße doppelt so groß wie in Deutschland kommen. Alles ist größer, alles ist übertrieben, Amerika halt.


Einen Kulturschock später sind 158 Tage rum.
Mit welchen Worten kann ich diese 158 Tage beschreiben?
NeuentdeckungenSpaß, sowie Drama, und Zweifel kommen nah dran. 
Aber am meisten trifft Entwicklung zu.
Das liest man auf einigen Blogs, ich weiß, doch ist es einfach wahr. 
Alles hat sich entwickelt. 
Meine Beziehung zu Amerika, zu Deutschland, und zu Menschen in diesen Ländern.
Und ich habe mich entwickelt.

auf dem Boot
Es sind Sachen wie meine Einstellung und meine Sichtweise zu Amerika und Deutschland. Ich bin nun eine stolze Deutsche, eine stolze Europäerin, etwas, das ich dachte könnte nie passieren. Ich hatte Mitleid mit Leuten, dessen Auslandsjahr schon vorbei ist. Nun habe ich Respekt vor diesen Leuten, sehe es als ein “Mission Accomplished” Statement, ein über sich Hinausgewachsen sein, worauf ich mich schon in gewisser Weise freue. 
Ich habe, mit einer Freundin, herausgefunden, dass man in der Vorbereitungsphase ein bestimmtes Bild vom Auslandsjahr bekommt. Man guckt sich Blogs an, und sieht nur positive Ereignisse, bis auf Heimweh, doch keine anderen Zweifel etc., also geht man davon aus, dass das eigene Auslandsjahr ein Durchschnitt aus allen Blogs wird. Und wenn man dann andere Zweifel bekommt, über sein Leben und seine Freunde, dann denkt man, dass nur man selber diese Probleme hat, und die anderen Austauschschüler nicht. Und es hat mich ein halbes Jahr gebraucht, um das herauszufinden. Das mag jetzt lange klingen, und sich anhören als wäre ich ein naives Kind, doch es ist schwieriger als man denkt. Man weiß schon von “downs”, man liest davon, und einem wird auf dem Vorbereitungsseminar davon erzählt. Von anderen Problemen als Heimweh wird jedoch nicht geredet. Doch es gibt andere Probleme und Zweifel. Und das ist normal, das ist, was ein Auslandsjahr ausmacht, diese Zweifel zu überwinden.
Und ich bin kein Profi, ich habe es auch noch nicht zu 100% geschafft, meine Zweifel und so zu überwinden. Aber ich bin dabei, glaube, und hoffe ich zumindest.
Doch es sind auch die kleinen Sachen, wie einfach mal die Target-Verkäuferin anzusprechen, oder neue Dinge auszuprobieren, ohne die besten Freunde auch dabei zu haben, die ich mich nun traue, und mit jedem Tag traue ich mich mehr.
Ich habe wichtige Dinge gelernt, wie dass es okay ist den Lunch Tisch zu wechseln, und dass man manchmal einfach sagen muss was man möchte und was man denkt, auch wenn es ein bisschen Überwindung kostet.
Ich habe gelernt ein Ja-Sager zu sein. Früher lag ich immer nur in meinem Zimmer und habe auf meinem Bett gechillt. Heute gehe ich immer überallhin mit, und versuche so viel wie möglich zu unternehmen.
Ich würde jetzt auch über Selbstfindung reden, doch diese hat bei mir noch nicht so ganz stattgefunden. Naja, sie findet schon statt, aber ist noch nicht an dem Punkt wo ich sagen kann, dass ich so einiges über mich selbst herausgefunden habe. Klar, man kann nie alles wissen, doch ein bisschen geht noch, und ich hoffe dieses Bisschen finde ich noch, ich habe schließlich noch 5 Monate. 

the Statue of Liberty
Ich habe gelernt, mehr Verantwortung für mich selbst zu übernehmen, und unabhängiger zu sein. Heute, zum Beispiel, hat mein Gastvater mir Softball beigebracht, und ich war auch ziemlich
gut dabei. Wir haben geübt, einen Ball zu fangen (mit diesem Handschuh), wenn er senkrecht auf dich runterkommt. Ich wurde immer besser, doch der letzte Ball den wir werfen wollten, ist mir gerade so am Handschuh vorbei gerutscht, und auf meinem Gesicht gelandet. Irgendwie hatte ich sowas ja geahnt. Naja, fette, blutende Lippe und einabgebrochenes, glücklicherweise aber winziges Stückchen von meinem Zahn waren das Resultat. Ich war natürlich in Schock, besonders in der Sekunde in der ich noch nicht wusste wie es aussah, und ob es vielleicht schlimmer war. Ich hab geheult, doch das Heulen bestand zu 80% aus Angepisstheit, und 20% aus Angst dass mein Zahn für immer entstellt war. Ich hatte Panik, aber ich hatte in keinem Moment wirklich das dringende Bedürfnis, meine Eltern oder irgendjemanden dabeizuhaben. Klar, ich hab mich gefreut als mich meine Gastschwester in den Arm genommen hat, aber mir ging was den “Ich muss jetzt bemuttert/bevatert werden” Drang betrifft, es eigentlich ziemlich gut. Nun gehe ich morgen zum Zahnarzt und lass ihn sich das mal angucken, und ich hoffe, das wird nichts schlimmeres als das kleine Eckchen auffüllen und gut ist. 
mein 16. Geburtstag
Eine besonders wichtige Sache habe ich auf jeden Fall schon gelernt, und zwar, dass man einfach sagen muss was man denkt, was man möchte und was man selber von etwas hält. Man darf dabei natürlich nicht unhöflich werden, ist ja klar, aber wenn etwas einen selber betrifft und man damit unzufrieden ist, dann muss man es sagen. 
Denn am Ende muss man selber damit klarkommen (zumindest, wenn es einen selber betrifft), und muss eventuell unter etwas leiden, nur weil man sich nicht traut etwas zu sagen, uns das ist es einfach nicht wert. 
Auch hier geht es größtenteils um die kleinen Sachen, wie zum Beispiel dass man die Haare beim Friseur vielleicht doch ein bisschen kürzer noch haben möchte, oder dass man nicht immer machen muss was die Freunde wollen, und dass man sagen kann, wenn man das Weihnachtsgeschenk zwar toll findet, es aber lieber gegen etwas ähnliches umtauschen möchte.


Ich habe das Gefühl, dass das Auslandsjahr mir Flügel gegeben hat, so kitschig das auch klingt.
sunset *_*
Der Moment in dem du deiner Heimat den Rücken zukehrst und nach vorne gehst, gibt dir die Flügel.
Und das Auslandsjahr ist dazu da, dass du lernst, diese Flügel zu nutzen und lernst, zu fliegen. 
Langsam, Schritt für Schritt.
Du wirst einige Male hinfallen, aber immer wieder aufstehen, bis du fliegen kannst.
Und wenn du einmal gelernt hast zu fliegen, verlernst du es nicht mehr.
Du kannst immer wieder nach Hause zurückkehren, doch du kannst von nun an auch immer wieder deine Flügel nutzen, und die Welt mit ihnen erkunden.

xoxo India

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